© Holger Melms
2003-2005

Warum sind Deutsche in Norwegen so beliebt?

Bei näherer Betrachtung zerfällt diese Frage in zwei Teile:

1. Warum sind Deutsche in Norwegen so beliebt? und

2. Warum sind Deutsche in Nordnorwegen so besonders beliebt?

Selbstverständlich haben beide Fragen etwas mit dem vorerst letzten Weltkrieg zu tun. Die Antwort auf die erste Frage ist nicht sonderlich schwierig, wo hingegen die Fakten zur Beantwortung der zweiten Frage mir vollkommen unbekannt waren.

Was geschah also in Nordnorwegen, d.h. nördlich Narvik?

Die Antwort ist ziemlich lang ausgefallen, denn je mehr ich in den norwegischen Quellen und dann auch noch in einer deutschen Quelle nachlas, um so spannender wurden die Zusammenhænge, und um so mehr ähnelten sie Erfahrungen aus anderen Weltgegenden. Zum Beispiel:

Das letzte Jahr des Zweiten Weltkriegs erlebte ich als 8-Jähriger in Berlin.  Ich erinnere mich noch sehr genau, wie meine Mutter (als Leiterin des Labors eines Berliner Krankenhauses) mit ihren guten Kontakten zu verwundeten deutschen Offizieren ständig zu ergründen versuchte, was sich hinter den Kulissen abspielte, um unser Schicksal wenigstens minimal zwischen den Fronten zu optimieren, was ihr auch einigermaßen gelang. Eine der Fragen war damals: welchen Teil von Berlin werden die Russen besetzen, und welchen Teil die Amerikaner?

Deshalb interessieren mich an Kriegen im Gegensatz zu Vielen nicht das Kriegsgerät oder die Schlachten sondern die geplanten Schachzüge hinter den Kulissen. Und beim Beantworten der Frage nach den Gründen der tief verwurzelten Aversion besonders älterer Nordnorweger gegen die Deutschen kommen viele rabiate Schachzüge zum Vorschein.

Ausgangspunkt ist Hammerfest, die Hauptstadt der westlichen Finnmark.

Wie gesagt, in vielen Reiseführern steht: „... wurde von den Deutschen vollständig dem Erdboden gleich gemacht.“ Das stimmt nicht: die Friedhofskapelle ließen sie stehen. Außerdem: hier war nicht viel zu sprengen und nieder zu brennen, der bebaubare Platz reicht nur für eine begrenzte Anzahl von Häusern und Betrieben.

(Bevor ihr euch ærgert: ich verwende oft den schwammigen Begriff "Deutsche", weil ich nichts Falsches schreiben will, denn die genauen Bezeichnungen der Personen und Kampfeinheiten sind wegen der hæufigen Wechsel der Fuehrungspersonen und Umbenennungen der vielvæltigen deutschen Einheiten eine kleine Studienarbeit wert - und langweilen.)

Aber im Ernst: wie kam es zu dieser für die Hammerfester - und wie sich zeigt, für alle Finnmärker - sinnlosen Aktion?

Die Finnen hatten sich zu Kriegsbeginn mit den Deutschen gegen die Russen verbündet. Dummerweise waren die Russen die Gewinner und die Deutschen die Verlierer. Um einen Rest an Selbständigkeit zu bewahren, mussten die Finnen den Russen neben vielen Gebietsabtretungen zugestehen, nun gegen ihre ehemaligen Waffenbrüder zu kämpfen. Und den Russen (und den Allierten) war hier oben nichts wichtiger, als die Deutschen endlich daran zu hindern, die amerikanischen Versorgungskonvois nach Murmansk anzugreifen.

Nebenbei: Diese Helden von der Nordfront (bzw. deren Strategen in Berlin) hatten es in drei Jahren und an drei Frontabschnitten nicht geschafft, die vor ihrer Nase verlaufende Eisenbahnlinie von Murmansk nach Zentralrussland zu kappen. Das hätte nun mal wirklich Sinn gemacht. Aber zurück zum Thema.

Am 19. September 1944 unterzeichneten die Finnen einen Waffenstillstand mit den Russen und am 7. Oktober 1944 startete die Rote Armee ihre Offensive und vertrieb die Deutschen aus weiten Teilen Russlands, Finnlands und schließlich aus dem norwegischen Gebiet um Kirkenes. Sie blieb aber an der Brücke von Tana stehen und gab so den Deutschen die Möglichkeit, sich in aller Ruhe neu zu organisieren. Das nutzten diese zum Ausbau einer neuen Verteidigungslinie nördlich von Tromsö - da wo heute die Touristen die Lyngs-Alpen bewundern. Das gesamte dazwischen liegende Gebiet - etwa so groß wie die Schweiz?, aber nur dünn besiedelt - wurde durch unseren lernfähigen Führer (Napoleon/Moskau) am 28. Oktober 1944 zur Verbrannten Erde erklärt. Die Zivilbevölkerung sei mit allen Mitteln zu evakuieren, Mitleid mit ihr sei nicht am Platz.

Die senkrechte rote Linie markiert die Linie (das Oval markiert die Brücke bei Tana), an der die Rote Armee Halt machte und sich kurz darauf zurück zog. In den roten Kreisen liegen Tromsö (weiter nördlich) und Narvik (weiter südlich). Die dunkelblaue und die braunen Linien sind die neuen Verteidigungslinien. Zwischen der roten und der dunkelblauen Linie liegt das Gebiet der Verbrannten Erde.


Der oben zitierte Führerbefehl wurde für die ca. 75.000 Betroffenen vor Ort elegant und einfühlsam formuliert - die kursiven Passagen begeistern mich besonders:

"Durch Verrat einer finnischen Regierungsclique ist die Räumung eines Teils von Nord-Norwegen eine militärische Notwendigkeit geworden, in deren Verlauf die restlose zivile Räumung dieses Gebietes um so unvermeidbarer ist, als erwiesenermaßen der Gegner die Bevölkerung in den von ihm besetzten Gebieten rücksichtslos und brutal zum Einsatz für die Erreichung seiner Ziele zu erpressen gewillt ist. Infolgedessen können im Vorfeld des Kampfes dem bolschewistischen Gegner keinerlei Unterbringungs- und Existenzmöglichkeiten überlassen werden. Alle derartigen Einrichtungen wie Unterkünfte, Beförderungsmittel und Lebensmittelvorräte müssen zerstört bzw. weggeschafft werden."

"Damit wird der Bevölkerung dieses Gebietes die Existenzgrundlage genommen, so daß zur Erhaltung ihres Lebens eine Evakuierung in den von der deutschen Wehrmacht weiterhin geschützten Raum notwendig ist.“
 

... es folgt das Versprechen, bei der Evakuierung behilflich zu sein sowie Drohungen für den Fall, dass dieser Befehl nicht befolgt werde. Unterzeichnet wurde der Befehl von:

Terboven, Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete

Rendulic (noch ein Österreicher!), Generaloberst, Oberbefehlshaber der 20. (Gebirgs-) Armee


Vom 30. Oktober bis zum 3. November 1944 wurde die Bevölkerung aus Hammerfest „entfernt“ (max. 18 kg Gepäck) und am 5. und 6. November wurden die ersten Sprengungen ausgeführt. Wie es sich gehört, wurde alles sauber organisiert. Hammerfest wurde in fünf Vernichtungszonen eingeteilt und umsichtig und sorgfältig niedergebrannt, d.h. erst nachdem alle verwertbaren Teile der verlassenen Häuser und Betriebe demontiert und abtransportiert waren. Sogar Telegrafenmasten wurden einzeln gesprengt. An der deutschen Gründlichkeit zweifelt hier oben niemand. Wollte ein Hammerfester sein Haus lieber selbst anzünden wurde er daran gehindert bzw. der Brand gelöscht!

Am 6. Februar 1945 verließen die letzten Norweger und russischen Kriegsgefangenen die Stadt, während die letzten Deutschen noch den Hafen und andere wichtige Punkte verminten und „bereits“ am 10. Februar 1945 „die Stadt“ verließen. Sie hatten damit ein riesiges Niemandsland im polaren Winter zwischen sich und den Russen und Finnen.

So viel zur Logik des Krieges aus deutscher Sicht.

Was brachte die Taktik der Verbrannten Erde für die norwegische Kriegsfront? (Denn das es für den Krieg als solchen nichts brachte, wissen wir.)

Nichts. Aber ein Ruhmesblatt ist dieser Teil des Krieges auch nicht für die Alliierten. Denn beim Zusammentragen der Fakten stellt sich eine Frage: Am 25. Oktober 1944 war die nunmehr siegreiche Rote Armee bereits tief in der östlichen Finnmark (und zieht sich kurz danach sogar zurück, was auch die deutsche Aufklärung wußte) und die Deutschen können in aller Ruhe (d.h. knapp 4 Monate lang) in der verbliebenen Finnmark, d.h. in einem Gebiet, das sie gar nicht verteidigen wollen, die Ortschaften planvoll plündern und niederbrennen. Passt das zusammen?

Hier schweigen sich die norwegischen Quellen weitgehend aus Die Logik der Russen und der West-Alliierten scheint gewesen zu sein: die Deutschen werden uns hier oben keinen Ärger mehr machen (was sie tatsächlich auch nicht taten), jetzt gibt es Wichtigeres zu tun.

Wie aus einem 1989 veröffentlichten deutschen Buch hervorgeht, gab es seit Überschreiten der Brücke bei Tana am 25. Oktober 1944 bis zum 8. Mai 1945 (über ein halbes Jahr) zwischen den Deutschen und den Russen oder den Engländern keinerlei nennenswerte Kampfhandlungen. (Mit einer Ausnahme: das manøvrierunfæhige, praktisch auf Grund gesetzte Schlachtschiff Tirpitz wurde bei Tromsö an einem wolkenlosen Vormittag von britischen Flugzeugen gesichtet und versenkt.) Was dort auch steht: die Verantwortlichen an der Eismeerfront hatten den Frontwechsel der Finnen befürchtet und vorsorglich die Operationen „Birke“ (raus aus Russland und Finnland) und „Nordlicht“ (Zurückziehen in das Gebiet Tromsö-Narvik-Lofoten mit „Preisgabe“ der Finnmark) geplant. Das Schicksal der Stadt Hammerfest war also schon beschlossen, lange bevor begonnen wurde, die Bevølkerung zu evakuieren und die Stadt einzuebnen.

Im Gegensatz zu den Nordnorwegern war das Desinteresse der Alliierten an dieser Front für die rund 200.000 deutschen Soldaten in Nordnorwegen (in ganz Norwegen standen zum Kriegsende 327.000 Soldaten, keine Pippefax-Mengen) ein Glücksfall: die Rückzugsgefechte aus Finnland und Russland verliefen für sie - will man dem erwähnten Buch glauben - glimpflich, und bis zum Kriegsende wurden sie praktisch nicht mehr angegriffen. Und der Grund für den Stopp der Roten Armee bei Tana ist dort auch erwähnt: Ganz Norwegen war sogenanntes Interessengebiet der Briten und die wollten die Russen da oben nicht haben. (So ähnlich wie Berlin bereits in Jalta geteilt wurde.) Das erwähnte Buch lieh mir der Leiter des Havöysunder Kriegsmuseums. Es wurde 45 Jahre nach Kriegsende von einem in meinen Augen alten Nazi oder tumben Offizier geschrieben und enthält viele empörende Passagen, deshalb keine auch nur minimale „Empfehlung“ in Form einer Quellenangabe.

Und was tat die norwegische Exilregierung in London für ihre Leute? Sie hat offensichtlich mit den Briten und Amerikanern monatelang bittend/bettelnd verhandelt, um für ihre „Amateur“-Soldaten (Norwegen war zu Kriegsbeginn neutral und deswegen fast ohne Armee) essentielle Unterstützung der Alliierten zu erhalten. Vergeblich. Bevor es bei den Verhandlungen zu Ergebnissen kam, hatten die Deutschen bereits (auch in Norwegen am 8. Mai 1945) kapituliert. Gleichzeitig machte der norwegische König in meinen Augen einen verständlichen aber entscheidenden Fehler, indem er bereits 1944 vom „nahe bevorstehenden Sieg“ sprach (Radio BBC) und damit etwa ein Drittel der betroffenen nordnorwegischen Bevölkerung zu der falschen Entscheidung veranlasste, sich der Zwangsevakuierung zu entziehen und sich in Höhlen zu verstecken, in denen sie dann oftmals von den deutschen Patrouillen, die sich im gesamten Gebiet bis zum Kriegsende ungehindert bewegen konnten, entdeckt und in Lager abtransportiert wurden.

Nur nebenbei: So ähnlich erging es auch den Polen im westlichen Teil von Warschau. Damals stritten sich verschiedene polnische Exilregierungen und eine von ihnen ermunterte aus politischen Gründen ihre Landsleute zum Widerstand gegen die Deutschen, während die Russen mit anderen politischen Interessen am Ostufer der Weichsel verharrten und zusahen, wie die Deutschen Warschau zerfleischten.

Oder - wie wir wissen - es geht noch besser: Nach dem Golfkrieg ermunterten die Amerikaner die Schiiten im Irak gegen Saddam zu kämpfen und taten nichts, als dieser begann, sie genüsslich mit seiner verbliebenen Armee abzumurcksen.

Also immer schön abwarten. Oder auch nicht? Denn es gibt in der Geschichte genau so viele Beispiele, in denen Abwarten der fatale Fehler ist. Unangenehm.

Ein Angebot zum Schluss (Gilt natürlich nur für Freunde oder mir Bekannte.): wer das alles wusste - ich wusste, obwohl chronisch neugierig, kein einziges Detail - und ich ihn/sie mit diesen „Erkenntnissen“ langweilte, wird zum Essen eingeladen. Aber nicht schummeln!

 

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