© Holger Melms
2003-2005

Burstad - faszinierend und deprimierend

Der Ort liegt direkt am Fahrwasser ungefæhr auf halber Strecke zwischen Havøysund und Hammerfest.

Auf der Seekarte sieht alles nach einem guten Hafen aus. Und das Lotsenhandbuch bestätigt dies. Also mal reinfahren! Was ich dann sah, hat mich überrascht und beeindruckt.

Eintragungen von mir: „Weißes Haus“ und “Graues Haus“ sowie das blaue Rechteck zur Kennzeichnung der Lage des Anlegers.

Ein langsam verfallendes Haus in einem schaurig-schönen Talkessel in einer Landschaft, die Karl May fasziniert hätte. In diesem Kessel liegen zwei Seen, von denen der vordere über eine breite und vier Meter tiefe Rinne vom Meer erreicht werden kann, während die Verbindung zwischen dem vorderen und hinteren See bei Niedrigwasser ein kleiner Gebirgsfluss ist, der den hinteren See durchfliesst und es damit unmöglich macht, die Seen zu Fuß zu umrunden.

Diese beiden Seen zu Fuß über das Gebirge zu erreichen ist wohl nur Rentieren, von denen ich eine ganze Herde verscheuchte, möglich. Insgesamt scheinen hier mal zehn oder zwanzig Fischerfamilien gewohnt zu haben, heute stehen noch ein halbes Dutzend Gebäude, die alle nach 1945 gebaut worden sein müssen, da Burstad im Bereich der Verbrannten Erde (siehe Warum Deutsche so beliebt?) liegt.

Der Ort liegt mindestens zehn Seemeilen von jeder anderen Siedlung entfernt.

Die breite Einfahrt (markiert durch den senkrechten Strich) und der schnell fließende Gebirgsbach (auf dem vorigen Bild am linken Bildrand) teilen das bewohnbare Seeufer in zwei Teile: den südwestlichen (voriges Bild), auf dem offensichtlich nur eine einzige Familie lebte, und den nordöstlichen, wo Platz für mehrere Familien und mindestens zwei Kaianlagen war.

Eine davon (im Vordergrund) hat keine Landverbindung mehr, die andere (im Oval, 31 m lang, auf der Karte das blaue Rechteck) war laut Lotsenhandbuch schon vor 1988 verfallen.

Im weißen Rechteck liegt eins der fünf wieder bewohnbar gemachten Häuser (das weiße), denn im Handbuch von 1988 wird der Ort als „aufgegeben“ bezeichnet. Jenseits der Hafeneinfahrt ist eine Insel zu erkennen: sie beschützt die Einfahrt, heißt Reinöya und war - das hatte ich in der Bibliothek von Havöysund gelesen - bis 1945 von zwei Familien bewohnt.

Von PHINEs Liegeplatz am 31m-Kai aus betrachtet sieht das weiße Haus recht ordentlich aus und wird sogar bewohnt - aber wohl nur im Sommer.

Durch den Ort führt eine Hochspannungsleitung zu der 6 Seemeilen entfernten Insel Rolvsöya.

Der notwendig gewordenen Arbeit an dem zur Leitung gehörenden Umspann- oder Relais-Gebäude (dem grauen Block rechts des weißen Hauses) ist es wohl zu verdanken, dass ein kurzes Stück des verfallenden 31m-Kais wieder benutzbar gemacht wurde. (Von der Hochspannungsleitung scheint es keinen Abzweig für Burstad zu geben, d.h. keins der Häuser hat Strom.)

Und hier beginnt für mich das Rätselraten: die mit 31 Metern und 5 bis 7 Meter Wassertiefe (bei Niedrigwasser!) doch recht beachtliche Kaianlage ist “angebrannt”. Und die an der Kaianlage liegenden Gebäude sind abgerissen oder gesprengt. Sollte das noch der Originalzustand nach der Bearbeitung durch die deutsche Wehrmacht sein?

Aber sollte sich ein Holzkai fast 60 Jahre so gut erhalten? Ich glaube eher nicht. So weit man lesen kann, scheint sich eine andere Art Tragödie an vielen Orten der Finnmark abgespielt zu haben.*

Nach der Zerstörung ihrer Orte im Winter 1944/1945 sind die Finnmärker im Sommer 1945 voller Elan an die Wiederherstellung ihrer Häuser und Fischfabriken gegangen, um dann etwa 1960 zu erfahren, dass viele der kleineren und besonders abgelegenen Orte keine Überlebenschancen hätten und sich deren Bewohner eine neue Heimat in den größeren und besser zu versorgenden Orten suchen müssten.

*) Die Auflösung des Rätsels soll viel trivialer sein. In Harstad traf ich am 7. August Georg Schuster, den Verfasser des Buchs “100 Häfen in Norwegen”. Siehe ###Kapitel###. Ich fragte ihn auch nach Burstad. Er erzählte mir eine fast unglaubliche Geschichte: ein Fischer habe vor vielen Jahren bei schlechtem Wetter - und notwendigerweise beschädigtem Boot - in Burstad Schutz gesucht. Da der Arme kein Handy besaß, versuchte er dadurch Hilfe zu holen, dass er den großen Holzkai in Brand steckte. Ein ziemlich idiotisches Unterfangen, da der Kai hinter einem Berg liegt, über den man vom nahen Fahrwasser nicht sehen kann. Diese Geschichte möchte ich noch gerne verifizieren. ###Lehrer auf Maasöy###.
Die Lösung: Burstad 2004.

Burstad gehört zur Gemeinde Måsöy mit der Verwaltung in Havöysund. Dort gibt es einen Bebauungsplan für Burstad: auf der Südseite darf ein Haus (das verfallende auf dem ersten Foto) und auf der Nordseite dürfen fünf Häuser stehen. Eine Landverbindung gibt es nicht mal im Winter mit einem Schneemobil.

Die erste Stunde war ich fasziniert von dem Ort, dann kam angesichts der Tristesse - so weit nördlich wächst auch im Windschatten kein Strauch mehr - und im Bewußtsein der Abgeschiedenheit eine starkes Gefühl der Beklemmung hinzu. Ich hatte nicht mal mehr Lust, auf die Familie zu warten, die aus dem weißen Haus kam und mit einem kleinen offenen Boot zum Angeln fuhr, und nach der Geschichte von Burstad zu fragen. Zumal der Mann im Boot stehend angelte und demnach nach Ansicht der Einheimischen ein Nicht-Norweger sein musste. (In einem kleinen Boot stehend zu angeln ist hier etwa so verpönt wie bei uns stehend zu pinkeln.)

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