© Holger Melms
2003-2006

 

 

Auf der Rentner-Rute

Entlang der Finnmark-Küste

 


Eine kleine Einleitung

Was ich aus zwei Gründen als Rentner-Rute bezeichne, wird vielen unter dem Namen “Hurtigrute” besser bekannt sein. Der erste Grund für die Namensvergabe ist das seit vielen Jahren unübersehbare Fehlen eines statistisch “normalen” Anteils der jüngeren oder mittleren Altersgruppen an Bord.

Der zweite Grund ist das Rentenalter des Konzepts “Hurtigrute” selbst. Zunächst, d.h. bei ihrer Gründung, war sie im Vergleich zu zuvor verfügbaren Transportmitteln tatsächlich schnell und vor allem zuverlässig.

Viele Jahrzehnte war sie das Rückgrat des Lebens entlang der langen mittel- und nord-norwegischen Küste, was man sich heute kaum noch vorstellen kann: man müsste sich fast alle(!) Straßen, Brücken und Tunnel entlang der Küste wegdenken.

Die Hurtigrute erlebte und überlebte viele Veränderungen an der Streckenführung, der Kundschaft und den Betreibern. Dann kamen, wie gesagt, die Straßen und Brücken und es ging bergab.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert schwindet deshalb die ursprüngliche Stammkundschaft (Personen und Güter), und von schnell kann keine Rede mehr sein*. Die Konkurrenz - Flugzeug, Pkw und Lkw, Schnellboote - schafft die Strecke von Bergen bis Kirkenes statt in gut fünf Tagen in wenigen Stunden, einem Tag oder einfach nur doppelt so schnell. Und der Staat fing an, die bisher reichlich fließenden Subventionen** zu kürzen.

Also verfielen die ob der schwächelnden Gewinne nervösen Betreiber auf die Marketingidee “Schönste Seereise der Welt” und ließen immer größere und luxuriösere Schönwetter-Schiffe bauen***.

Der Staat und die Wirtschaft hat kaum noch Bedarf an dieser - in meinen Augen - ins Rentenalter gekommenen Institution, da alle angelaufenen Häfen über Straßen erreicht werden können*.  Orentliches Essen können andere Reedereien auch servieren.

* Das stimmt nicht ganz: Viele Verbindungen im winterlichen Norden sind mit dem Auto eine Qual und erfordern große Umwege.

** Einer der im März 2006 fusionierten Betreiber führte die noch fließenden staatlichen Zuschüsse einer “kreativen Buchführung” zu, und löste damit einen handfesten Skandal aus.

***Diese Schiffe sind im Winter nur schwer kostendeckend zu betreiben.

Anlass zu dieser Reise ...

... war Eriks runder Geburtstag. Deshalb hatte er diese Reise gebucht. Er wuuste von meiner Segelei im Norden und so hatten wir uns verabredet. Wegen des ungewöhnlich kalten Sommers mit überwiegend begrenzter Sicht war es mir dann besonders recht, von meinem 9 m Boot auf einen sog. Luxusliner von 140 m Länge umzusteigen, um dort Erik und Solveigh zu treffen.

 

 

 

Um 8:30  dreht zunächst die südgehende Kong Harald an den Beton-Kai von Havöysund. (Muss noch geändert werden.)

 

 

Der nordgehende FINNMARKEN kommt eine gute Stunde später an den Kai.

 

 

Ein Blick vom alten Holzkai durch die Fenster im gerundeten Heck lässt auf ein leckeres Frühstück hoffen. Nur die Zeiten passen nicht: An Bord um 9:45, danach nocvh 10 Minuten Einchecken - Frühstück aber nur bis 10 Uhr.

 


Honningsvåg

 

In Honningsvåg traf ich 2003 zwei nette Studenten, die im RICA-Hotel jobbten. Dieses Jahr würde ich nicht um das hoteleigene Internet-Terminal betteln müssen, es gibt WLAN für 30 Kronen. Bei dem kurzen Aufenthalt mache ich davon keinen Gebrauch, sondern laufe lieber durch den Ort.  

Honningsvåg ist der Ort, von dem alle Schiffreisenden die fehlenden 35 km per Bus zum Nordkapp geschaufelt werden. Wer mit dem eigenen Auto vom Festland durch den Tunnel anreist, kann an dem Ort vorbei direkt zum Kapp fahren.

Auf die Idee, nochmals zum Touri-Nordkapp zu fahren, käme ich nicht mal im Vollrausch.

 

In Honningvåg scheint das Geld der stolz verkündeten 200.000 Touristen pro Jahr irgendwo anders zu landen als im Ausbau des Hafens: sowohl der Kai für die Hurtigrute als auch der für die Kreuzfahrtschiffe ist viel zu kurz.

Gefordert wird der Ausbau von den Kapitänen seit langem.

An Land scheint es eine gegenseitige Abneigung zu geben: die Touris wollen schnell zum Nordkapp und schnell wieder weg. Der Ort / die Gemeinde ist damit zufrieden, das Geld kommt ohnehin in der Kasse: 195 NOK “Eintritt” pro Person, um das Nordkapp überhaupt betreten zu dürfen. Dazu Tunnelgebühren für die Autofahrer bzw. Gebühren für die Schiffe und Busse.

Auch sonst ist in dem Ort keinerlei Auswirkung der vielen Touristen zu spüren: er ist trist wie vor 3 Jahren, und die sog. Museen sind ebenfalls unverändert öde und blöde.

 

Kjöllefjord

 

... ist der erste Stopp in der Ost-Finnmark. Der Ort liegt am Ende des gleichnamigen Fjords. Ankunft 17:45 - Aufenthalt: keiner.

 

 

Man sieht also nur das, was man von Bord aus sieht: also so gut wie nichts Wesentliches oder Typisches. Es mag sogar sein, dass man dennoch alles gesehen hat.

 

 

Zumindest wird hier in einen neuen Betonkai investiert, obwohl der Ort wie alle Hurtigrute-Häfen in der Ost-Finnmark über eine Straßenanbindung verfügt.

 


Den nördlichsten Punkt ...

 

... der Schiffsroute bemerkt kaum einer der Passagiere, zu wirksam ist die Gehirnwäsche des Tourismus-Geschäfts “Nordkapp”, und das ist schon abgehakt. Kein Schiff entlang der norwegischen Küste muss um das Touri-Nordkapp herum*, aber alle müssen um die weit nach Norden ragende Halbinsel Nordkyn herum, deren nördlichster Punkt eben auch der nördlichste Punkt der Hurtigruten-Strecke ist. Unbemerkt wohl auch, weil keiner um diese Zeit das Abendessen verpassen will.

*Die Fahrt durch den Sund südlich der “Nordkapp”-Insel Mageröy ist kürzer.

 

Bei dem diesigen Wetter entdecke ich die Stelle auch nur, weil ich die Seekarte im Gedächtnis habe: vor der Stelle muss eine kleine Insel mit einem Leuchthäuschen liegen.

 

Warum der Kapitän beim Abendessen durch die kräftige Brandung kurven lässt, ist mir nicht verständlich. Man führe immer so, lautet die Antwort. Der nördlichste Punkt der Hurtigruten-Strecke liegt also knapp nördlich von 71°N 008’.

Der alte Hase Björnar hielt mit seinen Schiffen gerne einen Abstand von 8 Seemeilen, um der Brandung in diesen flachen Gebieten zu entgehen.

 

Erik - mein sehr außergewöhnlicher Anlass dieser Schiffsreise.

 

 

Die FINNMARKEN mit ihrem Jugendstil-Dekor ist schon ein sehr schönes Schiff, wobei ich diesem Abendbuffet nichts Außergewöhnliches nachsagen kann.

Ich vergleiche mit Fährlinien wie Stockholm-Finnland, Kiel-Oslo und -Göteborg.


Mehamn

 

 

 

Von den sieben angelaufenenen Hafenorten der Ost-Finnmark ist Mehamn der kleinste. (Die Gemeinde zählt etwas über 1000 Einwohner auf 1400 Quadratkilometern.)

 

 

Bei dem diesigen Wetter fällt besonders die Kiche ins Auge. Der Rest dürfte das Übliche sein: Fischfabriken und bunte* Häuserschachteln. Aufenthalt in Mehamn auf der Hin- und Rückfahrt: wenige Minuten.

*Das ist nicht abwertend: im langen schneereichen Winter erfreut jeder Farbklecks das Auge.


Berlevåg

 

Der Hafen ist schwierig und bei schwerem Wetter soll er der am häufigsten nicht angelaufene Hurtigrute-Hafen sein, obwohl man ihm eine zusätzliche Mole und einen neuen Kai spendiert hat. Außerdem begegnen sich hier die nord- und südgehenden Schiffe.

Bezüglich nicht angelaufener Häfen sollte man die Beförderungsbedingunge n lesen°, und entsprechend Zeit und Kosten einplanen!

°Ersatzansprüche: keine. Allerdings sagte mir ein Steward: wer nicht an Bord kommt, hatt Pech. Wer schon an Bord ist, kann auf die Kulanz der Reederei hoffen.

Erst nachdem die südgehende XXX den Hafen verlassen hat und im Nebel verschwindet, kann unser Schiff einlaufen. Die Varde auf ihrem Felsen vor der Hafeneinfahrt könnte leicht für ein U-Boot gehalten werden.

 

 

Der innere Hafen von Berlevåg. Zeit für einen Rundgang: keine. Weder jetzt noch auf der Rückfahrt.

 


Båtsfjord

 

 

Von allen bisherigen Häfen in der Ost-Finnmark scheint dieser der größte zu sein. Auch die Kirche erscheint angemessen groß. Hier ließ Jarle seine Drott II überwintern, da der Hafen sicherer als der von Vardö sei.

 

 

Ein zweiter und letzter Blick auf den Ort am Ende des gleichnamigen Fjords: viel Kai und viel Nieselregen. Landgang: keiner.

 


Eine herbe Enttäuschung

 

Bei Wind von etwa 6, maximal 7 Beaufort läuft die FINNMARKEN auf die Hafeneinfahrt von Vardö zu. Das ist der Ort, der mich neben Kirkenes an dieser Küste am meisten interessiert. Es ist kurz nach 4 Uhr am Morgen, alles schläft. Was nun passiert, reduziert meine Wertschätzung der FINNMARKEN entscheidend.

Nachgefragt bei einem Steuermann der Hurtigrute: bei 18 m/s ist Schluss für alle alten/kleinen und neuen/großen Schiffe der Hurtigrute. Allerdings habe der Kapitän das Recht zu entscheiden, auch bei mehr Wind anzulegen (je nach Windrichtung, Böigkeit, und wohl auch weiteren Kriterien).

 

 

In einer eleganten S-Kurve steuert dieses moderne Schiff (Baujahr 2002) einfach an der Hafeneinfahrt vorbei, obgleich nach Auskunft eines Stewards Cargo für Vardö an Bord sei. Sein Kommentar: “diese Schiffe sind einfach zu groß” - will heißen, sie können bei Seitenwind in engen Häfen nicht mit genügender Sicherheit manövrieren. Und da diese Schiffe stets mit ihrer Backbordseite am Kai liegen müssen, tritt Seitenwind bei der erforderlichen 180-Grad Drehung (entweder auf der Nord- oder auf der Südstrecke, bei vielen Häfen in beiden Richtungen) immer auf.

 

 

 Die S-Kurve im Rückblick und ein Hoffnungsschimmer auf besseres Wetter.

 


“Nicht alles ist für Geld zu haben” ...

 

... kann ich heute, wenige Tage später, in meiner kleinen, luxusfreien PHINE titeln, denn die beachtlichen Hurtigrute-Preise schließen keine Sonnengarantie ein. Alle erhofften natürlich, hier oben die Mitternachtsonne zu sehen, und nichts als trübes Nebelwetter wurde geboten. Dabei, ...

 

Der wellenförmige Horizont ist die Oberkante des Seenebels, der sich in geschätzten 30 Seemeilen, also weit nördlich der Hurtigrutenstrecke, bildet.

... so hätte es zwei Stunden lang aussehen können!

Sie, die Mitternachtssonne, hätte noch etwas höher gestanden als an diesem 31. Juli, als ich sie während einer Radtour über die Insel Havöy beobachten konnte.

 

In diesen zwei Tagen kam ich mir wie ein räudiger Tiger in einem goldenen Käfig vor. Trotz der kurzen Landgänge und dem zeitweisen Aufenthalt - zum fotografieren - auf dem Außendeck hatte ich jeden Bezug zur rauhen Wirklichkeit der Finnmark verloren. Und gesehen hatte ich von den Bewohnern der Finnmark und ihren Wohnorten so gut wie nichts. Meine alte Regel “Nie länger als einen halben Tag auf einem Hurtigrutenschiff” bleibt also im grobe Vorgabe unverändert.