By Holger Melms
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Ohne hier nachzuschlagen ist wie Essen ohne Messer und Gabel (und ohne Löffel)
Nordkapp von Osten gesehen, dahinter Knivskjellodden, der nördlichste Punkt
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Zwei Attraktionen?

Öksfjord-Gletscher / Nach Skjervöy und weiter / Havnnes - wie ein Bilderbuch

 

Wenn ich schon mal hier oben bin, dachte ich, sollte ich auch noch zwei Reiseführer-Attraktionen aufsuchen, auch wenn sie beachtliche Umwege erfordern. - Leider haben beide fuer meinen Geschmack die Umwege nicht gelohnt. Die Landschaft aber schon. Das herrliche Wetter erlaubte es, die gesamte Strecke von Bergsfjord bis Tromsø (134 sm) an einem Stück - Tag, Mittsommernacht, Tag, also in 36 Stunden - zu erleben. Kurz nachdem ich in Tromsø ankam, kam auch der Regen und der Nebel. Das bedeutet, das ich das Wetter wieder einmal optimal nutzen konnte.
 

 

Die blaue Linie zeigt den Streckenverlauf von Bergsfjord bis Tromsø.

Die schwarzen Quadrate markieren die Lage der “Attraktionen”: Der Öksfjordjökel (Jökel = Gletscher) und das unzerstörte bilderbuchschöne Fischernest Havnnes.

Auf dem Weg zum Gletscher bin ich kurz in den Hafen von Seglvik gefahren. Der Hafen ist ein wichtiger Nothafen an der Grenze der Provinz Troms. (Er liegt an der Schnittstelle der blauen mit der grauen Linie.) Der Ost ist so klein, einsam und verlassen, dass ich auf ein Foto verzichtete.

In Skjervøy traf ich kurz nach Mitternacht ein, um es bereits zwei Stunden später in Richtung Havnnes zu verlassen.

Der Maursund liegt zwischen dem Ort Skjervöy und dem Flughafen-Symbol. Die Lyngsalpen erstrecken sich vom  “X 1833” nach Norden bis zur Spitze der Halbinsel.

 

 


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Zum Gletscher, “der ins Meer kalbt”

 

Ist das ein Wetterchen? Ich liege im Cockpit und lasse PHINE genüsslich dahinsegeln.

Nach Seglvik ist der Jökelfjord, dessen Ende in den Seekarten als Isfjord bezeichnet wird, mein nächstes Ziel, das ich leider erst gegen Abend erreichen werde.

 

„Europas einziger Gletscher, der direkt ins Meer kalbt.“ Von wegen! Die Gletscherzunge reicht nur bis zur roten Linie, geschätzt 400 m oberhalb des Meeresspiegels. Dann folgt ein mittlerer Wasserfall und darunter liegt eine große Schneewehe.

Dicht heran zu fahren ist nicht ganz einfach, da der Fjordgrund abrupt von 100 auf 0 Meter ansteigt und das typische grüne Gletscherwasser nur maximal einen Meter Sicht in die Tiefe erlaubt.

 

Viel weiter komme ich nicht ohne Risiko heran. (Ich bin dichter dran, als es auf dem Foto erscheint!)

Das Problem ist aber ein ganz anderes. Was auf dem Foto überhaupt nicht zu erkennen ist: die Gletscherzunge liegt nicht VOR sondern ÜBER einem. Das Tal, in das sie mündet, ist außerordentlich steil.

Mit dem Fernglas ist zu erkennen, dass die Gletscherzunge von Hunderten tiefer Spalten durchzogen ist, die ein Abbrechen großer Brocken jederzeit wahrscheinlich erscheinen lassen.

Vielleicht würden diese in der gewaltigen Schneewehe hängen bleiben, vielleicht auch nicht. Dieses Gefühl der Bedrohung wird noch dadurch verstärkt, dass in den Seehandbüchern vor solchen Abbrüchen gewarnt wird.

In der halben Stunde, die ich vor dem Gletscher herum dümpelte, wurden mindestens 50 Touristen mit kleinen Motorbooten heran gekarrt, obwohl der Abend mit seinen tiefen Schatten sicherlich nicht der optimale Zeitpunkt für eine Besichtigungsfahrt ist.

 

 


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Nach Skjervöy und bald weiter

 

Wer mich kennt, weiß, dass ich nachtragend bin. Und das langweilige Nordkapp werde ich so schnell nicht vergessen. Gegen diese Drachennacken-Kulisse der Halbinsel Kvänangen hätte es keine Chance, Touristen anzulocken.

Die Zacken sind messerschaft, verlieren leider etwas an Schärfe, wenn man das Foto fürs Internet komprimiert. (Das Schiff im Mittelgrund ist eines der wenigen Frachtschiffe, die noch die norwegische Küste befahren.)

 

Selbst dieser eigenartig geformte Felsbrocken am Nordufer der unbewohnten Insel Hauköya hat mehr als das Nordkapp zu bieten.

Bis Skjervöy sind es noch knapp 6 Seemeilen.

 

Gegen halb Eins bin ich in Skjervöy, das zu dieser Zeit im Schatten der umgebenden Berge liegt. Es ist Freitag Abend, und irgendwo müsste hier was los sein. Ist auch - aber auf  niedrigem Niveau: in einer Imbiss-ähnlichen Bar sitzen drei angetrunkene Burschen und im Hotell Maritim gesellen sich zu einigrn jungen Männern sogar ein paar Mädels.

Mit einem Eis und einer Tasse Kaffee setze ich mich im Maritim in eine Ecke und betrachte das müde Treiben. (Ich habe es mir auf diesem Törn zur Regel gemacht, nicht immer nur an Bord zu sitzen und Restaurant- oder Pub-Besuche dadurch zu verbilligen, dass ich statt des teuren Biers die fast landesübliche Alternative, eine Tasse Kaffee, bestelle.)

Skjervöy ist bei weitem nicht so trist wie Öksfjord (beide Orte werden von der Hurtigrute angelaufen), aber ein Ort zum Bleiben ist es auch nicht, obwohl es einen kleinen und soliden Schwimmsteg für Gastboote besitzt.

Um zwei Uhr (dieses Foto) mache ich mich vom Acker und freue mich über die Sonne, die nun in das Hafental scheint. Meine Hoffnung: vielleicht ist ja am Samstag Abend in dem angepriesenen Havnnes etwas mehr los.

 

Das ist nun mal eine Nachtsonne, die erfreut. (Vielleicht erinnert sich jemand an mein Gejammer über die Mitternachtssonne im Söröysund auf dem Weg nach Hammerfest.)

Es ist kurz nach drei Uhr und vor mir liegt der Maursund.

Auf dem Foto sind zwei meiner drei GPS-Geräte zu erkennen. Der kleine rechte kann mit digitalen Seekarten geladen werden. Leider erwies sich die käufliche Garmin-Karte (Lofoten bis russische Grenze vom März 2003) - entgegen aller Versprechen der Werbung -  nur als nettes Spielzeug, das nicht im Entferntesten die Papierkarten, und seien sie noch so alt, ersetzen kann. Als Ergänzung der Papierkarten ist die laufende Darstellung der Position auf der Seekarte allerdings recht angenehm. Siehe auch ###.

Das Gerät in der Mitte (Garmin GPS 126) fiel regelmäßig aus, wenn ich in die Nähe - unter 200 m - von Frachtern oder von Schiffen der Hurtigrute kam.

 

Der Maursund im Morgendunst.

Über diesen Sund wurde keine Straßenbrücke sondern unter ihm ein Straßentunnel gebaut, um Skjervöy an das Strassennetz anzubinden. Und damit entfällt das Ärgernis, dass eine niedrige Brücke eine wichtige Wasserstraße für Segelboote versperrt, wie die 12-Meter-Brücke, die etwas weiter nördlich gebaut wurde.

Je weiter man sich von der Küste entfernt, umso unangenehmer werden die Strömungen in den Sunden, aber um so lieblicher wird die Landschaft.

 

Der Ort Maursundet am Maursund. Er kommt in allen Fremdenführern vor, da hier ein stilvolles Herrenhaus, das heute Museum ist, von den Deutschen nicht niedergebrannt wurde. Ob Euch das Thema Verbrannte Erde nun zum Halse raushängt oder nicht, den norwegischen Reiseführern tut es das jedenfalls nicht.

Das linke der beiden weißen Häuser ist das gut erhaltene Herrenhaus mit einem kleinen Café, das aber erst mittags öffnet. Das rechte sieht nach einer ehemaligen Fischannahme mit zwei nahezu vollkommen verfallenen Anlegestellen aus, die ein schnelles und einfaches Anlegen zwecks kurzer Besichtigung unmöglich machen. Also weiter.

 

 


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Die zweite Attraktion: Havnnes

 

Havnnes vor der Kulisse der Lyngsalpen. Die Lyngsalpen machen schon was her, besonders wenn sie, wie auf der Nordfahrt vor einem Monat, noch stärker schneebedeckt sind.

Über die bis zu 1833 m hohen Bergspitzen Lyngsalpen verlief die Frontlinie zur Verteidigung von Tromsö und Narvik.

Havnnes war praktisch der letzte Ort im Gebiet der Verbrannten Erde. Man kann sich gut vorstellen, dass dieser Gebirgszug ein idealer Schutzwall gegen Angreifer ist, auch wenn im Dezember 1944 die Russen schon lange die Verfolgung der Deutschen aufgegeben hatten und die Engländer sich lieber mit deutschen Städten „beschäftigten“ als hier an dieser Nebenfront anzugreifen. Diese Konstellation erklärt wohl auch die folgende Begebenheit.

 

Die bildhübsche Wasserfront von Havnnes. Zu diesem Gehöft gibt es eine Geschichte:

Der Besitzer wurde wie alle anderen Betroffenen zwangs-evakuiert. Als er im Mai 1945 zurückkehrte, war sein Gehöft nicht niedergebrannt wie alle anderen. Statt dessen fand er zwei große Zettel, auf denen auf Deutsch stand: "Keins der weißen Häuser niederbrennen".

Als ich Einar (den Sohn des damaligen Besitzers) fragte, wer diesen Zettel unterschrieben hatte, sagte er, der Zettel wäre ohne Unterschrift gewesen.

Er mag es nicht besser wissen, aber das glaube ich einfach nicht. Eine Anweisung ohne Autorität ist für einen (deutschen) Soldaten keine Anweisung. Diese Zettel trugen meiner Meinung nach die Unterschrift eines höheren deutschen Offiziers, der - sicher zusammen mit anderen - im fortgeschrittenen Winter 1944/45 die Sinnlosigkeit der Aktion „Nordlicht“ erkannt hatte und ohne sich in größere Gefahr zu bringen diese Anweisung erteilen konnte.

 

Die Wohnhäuser von Havnnes. Top gepflegt und wahrscheinlich schöner als alles, was man auf den Lofoten finden kann.

Das Gebäude rechts ist das älteste und soll schon 1795 hier gestanden zu haben.

Wer auf dem rechten mittleren Gebäude einen kleinen Turm erkennt, könnte es für eine Kapelle halten. In dem Turm hing tatsächlich eine Glocke, sie hatte aber die Aufgabe, die Knechte und Mägde zur Arbeit und zum Essen zu rufen. (Gibt es auch woanders.)

 

Um die Schönheit geht es bei diesem Foto nicht. Es zeigt vielmehr die Kehrseite des viel gepriesenen Ortes Havnnes.

Die roten Striche weisen auf die in großem Abstand angeordneten Reifen hin, die ein Anlegen für kleinere Boote für mehr als eine knappe Stunde unmöglich machen. Spätestens dann ist das Fenderbrett (bei steigendem oder fallendem Wasser) zwischen den Reifen eingeklemmt.

Und einen Schwimmsteg gibt es nicht.

 

 

Was nicht sichtbar ist: Das Haudegen-artige Auftreten des „Nessekongs“ Einar Giävär *). Er hat sein Reich Top in Schuss, aber dem Ort fehlt jedes Flair, z.B. in Form einer netten Gastwirtschaft wie in Bergsfjord. (Es gibt einen kleinen Landhandel mit Imbiss-Charakter.) Und es riecht nach Fisch, denn in den Hallen lagern tonnenweise getrocknete bzw. noch trocknende Fische. Also auch kein Ort zum Bleiben.

*) Ein „Nessekong“ (wörtlich „König der Landzunge“ - „nese“ ist die Nase, „nes“ die Landspitze, d.h. der meist kleine Bereich zwischen Meer und steilen Gebirgshängen, der überhaupt bewohnbar ist.) war der „Großgrundbesitzer“ des jeweiligen Ortes. Siehe dazu die Geschichte der Familie Buck unter Bergsfjord.

 

 

Von Havnnes sind es noch rund 50 Seemeilen bis Tromsö. Ich könnte also kurz vor Mitternacht dort sein. Das ist nicht zu spät, denn das Nachtleben in Norwegen beginnt praktisch nie vor 23 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt findet das sog. “Vorspiel” statt. Siehe ###Land und Leute###.

 

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05.11.2008

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